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Das Expertenforum im August: Interventionelle Radiologie
AIC Stenose und Viskosität?

Sehr geehrter Herr PD Landwehr, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

2 fachliche Themen beschäftigen mich schon länger und sind sicher auch für viele interessant:

Fall 1:
Ein Patient mit einer hochgradigen Art. iliaca comm. Stenose. Diese wird mittels Ballon-PTA beseitigt ohne Reststenose. Damit kann die Intervention auch nach S3 Leitlinie beendet werden. Dort steht "Eine zusätztliche Stentimplantation nach PTA ist im Bereich der Beckenarterien indiziert, wenn das Ergebnis ...suboptimal ist oder verfehlt wurde." Das liegt ja in o.g. Fall auch nicht vor. Wenige Zeilen später steht aber in der Leitlinie: "Eine primäre Stentimplantation ist als initiale Therapie ....bei Stenosen und Occlusionen der A. iliaca comm. zu empfehlen." Letzteres gilt ja schon lange. Für mich ist das ein Widerspruch.
Wie ist denn eigentlich "primäre Stentimplantation" definiert? Stent vor PTA? Stent nach erfolgreicher PTA ohne Reststenose?
Wie wäre das leitliniengerechte Vorgehen bei einem Pat. mit hochgradiger Stenose oder Verschluß der AIC?

Fall 2: Bei manchen Patienten dauert es sehr lange, bis das Kontrastmittel auch bei Dreigefäßversorgung im Fuß ankommt. Die Verzögerung tritt in unterschiedlicher Höhe ein.
Vor vielen Jahren gaben mir meine Lehrer als mögliche Ursache zur Antwort "periphere Widerstandserhöhung" oder "erhöhte Viskosität des Blutes". Spielen hier HK, Thrombozytenzahl, Fibrinogen, andere Blutwerte oder ein Diabetes eine Rolle? In der Literatur und in der täglichen Praxis habe ich bisher keine schlüssige Antwort gefunden. Darüberhinaus wäre ja die therapeutische Relevanz wichtig: Gezielte Blutuntersuchungen und Hämodilutionstherapie bei einem pAVK-Patienten?

Ich freue mich auf Antworten.
J.-P. Heyne
Diskussion erstellt von gelöschte Person am 12.08.2010 um 06:15 Uhr
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  • Sehr geehrter Herr Heyne,

    zu Ihrer Frage 1: Erster Kommentar zunächst mal generell zur S3-Leitlinie pAVK: Es ist insgesamt ein großer Fortschritt, dass wir diese Leitlinie haben, wenn Sie bedenken, dass wir vor TASC I (2000) keinerlei AVK-Guidelines hatten, jetzt aber mit TASC II und S3-LL deutlich bessere Richtschnüre für unser Handeln und auch für die Diskussion mit unseren gefäßchirurgischen und angiologischen Partnern besitzen.
    Jetzt zur Definition: Primäre Stent-PTA heißt, dass Sie sich nach dem ‚intention-to-treat‘-Prinzip primär vornehmen, eine Läsion mit einem Stent zu versorgen; dies gilt sowohl für die unmittelbare Kombination aus Ballon-PTA und Implantation eines Ballon expandierten Stents als auch für die geplante Implantation eines selbstexpandierbaren Stents im unmittelbaren Anschluss an eine Ballon-Dilatation oder unmittelbar vor einer Ballon-Dilatation (bei dann schon platziertem Stent). Sobald Sie erst dilatieren und sich erst danach während der Intervention überlegen, ob sie noch einen Stent implantieren, spricht man von sekundärer oder selektiver Stent-Implantation. Kriterien hierfür können angiographische (z.B. elastische Rest-Stenose, Fluß behindernde Dissektion) oder hämodynamische (z.B. relevanter Druckgradient nach Ballon-PTA) Kriterien sein.
    Mit Ihrer Frage Sie legen Sie durchaus den Finger in eine Wunde dieser Leitlinie, wobei ich zu bedenken bitte, dass dies ja eine Leit- und keine Richtlinie ist. Jede Leitlinie kann nur so gut wie die Datenlage sein, die bei der Leitliniendiskussion vorliegt. Man muss eben sagen, dass die Literatur zu dem Thema nicht durchgängig zwingend ist, die Kriterien für eine Stent-Implantation sind leider nicht sehr scharf definiert. Die Literatur der 90er Jahre (z.B. Bosch J, Hunink M: Radiology (1997) 204(1):87-96) favorisierte eher die primäre Stent-PTA im Becken. Wenn Sie aber [Klein WM et al.: Radiology (2006) 238: 734-744] lesen, werden Sie sehen, dass die Ergebnisse -auch nach 8 Jahren- bei primärem Stenting und sekundärem Stenting (bei relevantem Restgradienten nach Ballon-PTA) identisch sind, d.h., dass in der Gruppe mit sekundärem / selektiven Stenting etwas mehr als die Hälfte der Patienten (aber auch nicht mehr!) mit einer alleinigen Ballon-PTA auskamen. Dies bedeutet aber auch, dass Sie immer eine Druckmessung machen müssten, wenn Sie dieses Konzept verfolgen, und dann noch immer 43% der Patienten doch einen Stent bekommen würden. Daher ist zu verstehen, dass die S3-LL hier etwas schwammig ist.

    Wenn Sie die Leitlinie zudem genau lesen, stellen Sie fest, dass die A/1-Empfehlung einer zusätzlichen Stent-Implantation bei schlechtem PTA-Resultat sich auf ALLE Beckenarterien, die A/1-Empfehlung zur primären Stent-PTA aber lediglich auf die A.il.comm. bezieht. Nachgeschoben wird die B/2-Empfehlung, dass bei Externa-Läsionen eine Stent-PTA ‚effektiv‘ ist. Was heißt dies in Kürze (und dies ist jetzt ‚gefärbt‘ durch meine Interpretation der Lage): Sie handeln Leitlinien gerecht, wenn Sie Beckenarterien-Verschlüsse primär mit einem Stent versorgen. Sie handeln Leitlinien gerecht, wenn Sie bei Stenosen primär Stents einsetzen (Communis und Externa), aber eine primäre PTA mit selektivem Stenting überlegen, wenn Sie einen besonders jungen Patienten mit Claudicatio und einer kurzstreckigen Primär-Stenose behandeln, insbesondere bei Externa-Stenosen junger Frauen; bei diesem Vorgehen müssen Sie aber IMMER mit Druckmessung vor/nach PTA arbeiten, was den Aufwand wieder erhöht. Wichtig finde ich (und das steht nicht so als Empfehlung in der S3-LL), dass Sie Ballon- bzw. Stentlänge immer so kurz wie möglich wählen, um nicht in einem unbeteiligten Gefäßabschnitt unnötigerweise eine Intimahyperplasie auszulösen.


    zu Ihrer Frage 2: Das ist eine Frage, die ich auch nicht schlüssig und v.a. nicht wissenschaftlich fundiert beantworten kann, ich versuche es aber mal. Das von Ihnen beschriebene Phänomen kennen alle angiographisch Tätigen, aber natürlich ist das ja auch tägliches Brot etwa bei der peripheren KM-MRA, was auch die Rationale für eine Zeit aufgelöste MRA am Unterschenkel darstellt. Zudem haben Sie sicher auch schon erlebt, dass manchmal die Arterien des erkrankten Unterschenkels bei einem pAVK 4-Patienten früher kontrastiert sind als auf der gesunden Gegenseite. Dies hat definitiv etwas mit dem erniedrigten peripheren Widerstand auf der erkrankten Seite zu tun.

    Aus der Duplexsonographie wissen wir ja, wie unterschiedlich die Dopplerspektren an Extremitätenarterien aussehen können. Hier kommen mehrere Einflüsse zusammen: peripherer Widerstand, Blutdruck, Arterienelastizität, Vorliegen einer dilatativen Arteriosklerose und HZV haben einen Einfluss auf Flussgeschwindigkeit und Flussmuster. Bei hohem peripheren Widerstand ‚pendelt‘ das Blut mehr als bei geringem Widerstand, so dass die integrale, mittlere Flussgeschwindigkeit (und nur die ist für den Weitertransport des KM-Bolus verantwortlich) relativ gering ist. Hinzu kommt manchmal auch die Art der Lagerung bei der Angiographie: Beispielweise kommt es bei zu stark überstrecktem Fuß bei schlanken Patienten zu einer ‚Minderperfusion‘ der A.tib.ant., wenn diese auf Ebene der A.dors.pedis aufgrund der starken ‚Spitzfußstellung‘ durch die gespannte Haut gegen den darunter gelegenen Knochen komprimiert wird. Einen Zusammenhang mit der Blutviskosität und damit eine therapeutische Konsequenz kann ich mir nicht vorstellen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Peter Landwehr
    Peter Landwehr am 12. August 2010 um 16:17 Uhr
  • Sehr geehrter Herr Landwehr,

    vielen herzlichen Dank für die schnelle und ausführliche Antwort mit den Literaturhinweisen.
    Jens-Peter Heyne gelöschte Person am 13. August 2010 um 19:45 Uhr