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Famulatur in der Notaufnahme

von Gaby Niggenaber, im September 2014

Hier geht fast nichts ohne Radiologie – so ist die Erfahrung von Medizinstudentin Gaby Niggenaber, die ihre erste Famulatur in der zentralen Notaufnahme der Chirurgie in Berlin absolviert hat. Die Zusammenarbeit mit der Chirurgie läuft Hand in Hand, und für Famulanten bietet die Notaufnahme ein breites Spektrum an Wissenswertem. Spurlos geht die Zeit in der Notaufnahme in jedem Fall nicht an einem vorüber…


Meine erste Famulatur habe ich in der Zentralen Notaufnahme der Chirurgie in den DRK Kliniken Berlin | Westend gemacht, nachdem ich einige Monate zuvor das Physikum bestanden hatte. Mich erwarteten eine äußerst interessante und empfehlenswerte Famulatur und eine sehr lehrreiche Zeit, was Krankheitsbilder und Ausbildung der Studenten betrifft. Zudem habe ich einige herzliche Menschen kennen gelernt, die die anstrengende Arbeit in der Notaufnahme mit viel Empathie und persönlicher Einsatzbereitschaft ausfüllen.

Ich hatte mich schon gefragt, ob ich das unbekannte Patientenaufkommen und die noch unbekannteren Diagnosen der Patienten für die erste Famulatur schaffen könnte, aber ein Sprung ins kalte Wasser kann ja auch ungeahnte Kräfte wecken. Außerdem ist man nie alleine, es steht einem Famulanten ja immer ein versierter Chirurg zur Seite. Aber natürlich wollte ich mich auch nicht mit totaler Unkenntnis blamieren.

Seit meinem ersten Arbeitstag in der Zentralen Notaufnahme der Chirurgie kann ich sagen: Es geht fast gar nichts ohne Radiologie! Die Patienten mit relevanten Diagnosen, die nicht nur ein Pflaster benötigen (ja, auch das gibt es!), benötigen zumeist auch ein radiologisches Bild: Röntgen-Thorax, CT vom Kopf, gebrochene Beine, Hände, Beckenfraktur, es war eigentlich jedes Körperteil dabei vom Kopf bis zu den Zehen.

Da in den DRK Kliniken Berlin | Westend ein zertifiziertes regionales Traumazentrum ist, konnte ich mich auch mehrfach mit der Notfallradiologie im Schockraum und dem Schockraum-Management auseinandersetzen. Zwar habe ich meistens zugesehen, aber das hat mich in diesen Situationen auch nicht gestört, da im Schockraum alles schnell und Hand in Hand gehen muss. Wird ein Notfall über das System angekündigt, wird das „Polytrauma“ ausgerufen: an alle beteiligten Mitarbeiter der versorgenden Fachabteilungen wird der Ruf gesendet, der Schockraum füllt sich mit dem Behandlungsteam aus Ärzten und Krankenpflegepersonal. Hier kann man sich dann „interdisziplinäres Handeln“ par excellence ansehen:

Sobald das Polytrauma in den Schockraum gefahren wurde, übergibt der Notarzt den Patienten mit Unfallhergang und potentiellen Diagnosen. Gleichzeitig schreibt schon der Erste im Hintergrund, genauso gleichzeitig werden Venenkatheter gelegt, der Radiologe oder der Unfallchirurg hat den Ultraschallkopf schon in der Hand, startet mit der routinemäßigen Untersuchung der gefährdeten Organe: vom Herzen bis zum Morison-Pouch und Koller-Pouch (anatomische Räume, in denen sich im Falle innerer Verletzungen sonografisch selbst kleine Mengen abdomineller Flüssigkeit nachweisen lassen), wird der Patient von Kopf bis Fuß untersucht.

Bei vielen Patienten lautet die Diagnose dann auch „der Patient kriegt die Polytrauma-Spirale“: das heißt für den Patienten, dass es ins CT geht. Hier ist dann insbesondere auch der Radiologe vom Dienst gefragt, der im Notfall die Verletzungen im CT darstellen kann und das auch dreidimensional. Die letztendliche Entscheidung/Verantwortung trägt der (unfallchirurgische) Traumaleader.

Da ich schon ein Krankenpflegepraktikum bei den Unfallchirurgen im Benjamin Franklin der Charité gemacht habe, war mir die Sprache nicht fremd und auch das Patientenaufkommen nicht: man hat dort jeden Tag mit Verunfallten zu tun, sei es ein Sturz in der häuslichen Wohnung oder der Autounfall, Stürze vom Fahrrad, Sportunfälle bzw. die ganze Bandbreite der Schmerzpatienten, die man sich vorstellen kann. Es ist ein sehr vielfältiges und spannendes Arbeitsgebiet, kein Tag gleicht dem anderen.

So hatte ich auch keine Angst, als es das erste Mal hieß, ein „Polytrauma“ mit der diensthabenden Unfallchirurgin zum CT zu begleiten. Sobald der Patient im CT ist, werden schon die ersten Bilder vom diensthabenden Radiologen/in begutachtet. Ich bin mehrfach mit dem Unfallchirurgen vom Dienst diese Gänge zum CT entlang gelaufen und habe gelernt, dass es ohne Kenntnisse in der Radiologie gar nicht geht.

So ein Tag ist oft nicht mit dem Gang nach Hause beendet. „Polytrauma“ heißt ja auch oft genug, dass ein Patient und die Kollegen mit ihm gerade ums Leben kämpfen. An solchen Abenden saß ich ganz ruhig daheim und man denkt auch als Medizinstudentin über das Leben nach, weil jemand gerade um seines kämpft. Spurlos geht die Zeit in der Zentralen Notaufnahme nicht an einem vorüber. Ich habe große Hochachtung vor allen, die das über viele Jahre schon täglich machen und inzwischen ja auch nötige Untersuchungen von nicht nötigen unterscheiden müssen.

Und nur am Rande sei hier ein gar nicht so geringes Versorgungsproblem angesprochen: Leider füllen sich nämlich die Notaufnahmen immer mehr mit Patienten, die eigentlich zum Hausarzt gehören!

Aber es gibt ja nicht nur die Polytrauma-Patienten, sondern auch die anderen, die umgeknickt sind, harmlosere Verkehrsunfälle, die Motorradfahrer oder die Kita-Kinder. Berlins Jugend ist sehr sportlich, ich habe Sportarten kennen gelernt, von denen ich noch nie gehört habe: z.B. „Parcours“ von Teenagern, die von 2 Meter-Mauern springen und dann geröntgt werden müssen - alles ist möglich.

Eine Patientengruppe nimmt auch in der Zentralen Notaufnahme stark zu: ältere Patienten, die in ihrer Wohnung oder im Pflegeheim gestürzt sind. Sie werden vom Krankenwagen zu jeder Tages- und Nachtzeit gebracht, da dies in den Pflegeheimen ohne radiologische Hilfsmittel gar nicht geklärt werden kann. Nach einer ersten Einarbeitungszeit und dem Herantasten an meine Kompetenzen durfte ich manchmal als Erste meine Einschätzung zu den Stürzen und den Folgen geben, natürlich immer ruhig beobachtet vom Chirurgen: fast hundertprozentig muss ein Röntgen-Thorax gemacht werden, von gebrochenen Rippen bis zur Wirbelkörperfraktur ist auch hier alles dabei.

Bei einer Sache sind sich die Radiologen und Unfallchirurgen in der Notaufnahme einig: Kinder und junge Erwachsene werden so wenig wie möglich geröntgt aufgrund der Entwicklungsphase. Hier hat sich seit meiner Kindheit entscheidend etwas zum Positiven geändert.  Es werden erst einmal alle anderen Untersuchungstechniken ausgeschöpft, um einem Kind das Röntgen zu ersparen. So wird man bei einer Dreijährigen mit unklarer Diagnose erst einmal die Sonografie ausschöpfen, und erst dann, wenn unbedingt nötig, das Röntgen anschließen.

Im Laufe der Zeit hatte ich mich schon wohl gefühlt mit dem Gedanken, morgens oder nachmittags zu wissen: Es geht in die Notaufnahme. Man steht irgendwann vor den Röntgenbildern oder dem CT und diskutiert vorsichtig mit den ärztlichen Kollegen mit oder traut sich, verhalten etwas einzuwerfen.

Morgens bei der Frühbesprechung der Unfallchirurgen ist immer ein Radiologe anwesend, der die Bilder des Vortages präsentiert und manchmal auch zusätzliche Diagnosen entdeckt hat: das geübte Auge des Radiologen eben. Zudem gibt es in der Klinik auch eine radiologische Fortbildung für die PJler, die jederzeit auch die Famulanten besuchen können. Was mich erwartet hat, war eine Schulung in Notfall-Sonografie, die sehr interessant war. Es wurden alle Handgriffe und Organe des Abdomens durchgegangen, wie es auch im Schockraum beim Polytrauma-Management passiert. Profitieren kann man davon bei jedem Patienten, der gestürzt ist, ein akutes Abdomen hat oder ähnliches.

Wir haben an der Charité im klinischen Semester einige Stunden Radiologie, leider fehlt die praktische Ausbildung wie andernorts auch im Regelstudiengang. Da ist dann die Eigeninitiative gefragt. Auf jeden Fall sollte man die AG Sonografie an seiner Universität besuchen. Ich glaube, es gibt keine Fachrichtung, die ohne Radiologie auskommt.

Im Notfall-Management ist die Radiologie essentiell! Es gibt keinen Tag, an dem der Student und Arzt die Radiologie, CT, MRT, Sonografie und das Röntgen nicht brauchen würde. Wer Interesse am Notfallmanagement hat, ist sehr gut beraten mit einer Famulatur in der Notaufnahme: Es erwartet den Famulanten eine große Vielfalt an Wissenszuwachs und interessante Patienten.

 

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