Schlaganfallbehandlung und MRT - ein (fast) unschlagbares Team
von Gaby Niggenaber (Charité Berlin), im April 2014
Ich hatte die Möglichkeit, PD Dr. Jochen Fiebach zu interviewen, der das „Imaging Team“ am Centrum für Schlaganfallforschung (CSB) am Campus Benjamin Franklin in Steglitz (Charité Berlin) leitet. Dr. Fiebach ist Facharzt der Radiologie mit dem Schwerpunkt Neuroradiologie und arbeitet seit 2006 in Steglitz in der Neurologie.
Bild: PD Dr. Jochen Fiebach (Quelle:
http://www.schlaganfallcentrum.de/index.php?id=396, Abruf am 24.04.2014)
Gaby Niggenaber: Das Klinikum Steglitz und die
baulichen Voraussetzungen sind einzigartig in der Schlaganfallbehandlung, den
Eindruck hat man zumindest, wenn man die Bilder auf der klinikinternen Website
betrachtet...
Dr. Fiebach: In Steglitz gibt es eine Konstellation von Akutneurologie und MRT-Team, wie sie andernorts nicht üblich ist: Es wurde ein Schlaganfall-MRT zur klinischen Forschung angeschafft, das es ermöglicht, Forschung sehr erfolgreich umzusetzen. Normalerweise wird der Patient mit Schlaganfall in die Radiologie gebracht – in Steglitz hat man ein MRT zum Patienten und zur Stroke Unit gebaut und damit einen logistischen Vorteil realisiert, wie er einzigartig ist.
Gegen viele bauliche und interne Widerstände haben Wissenschaftler um Prof. Arno Villringer und PD Dr. Fiebach 2007 einen 13-Tonnen Magneten des Magnetresonanztomografen einbauen lassen und zwar neben die Stroke Unit der Neurologie des Campus Benjamin Franklin-Klinikums im 4. Stockwerk. Dafür musste die Statik über drei Etagen verändert und der Brandschutz aufwändig überarbeitet werden. 2008 konnte die Forschungsarbeit des „CSB-Imaging Team“ (CSB steht für Centrum für Schlaganfallforschung) beginnen.
Einbau des Stroke MRT im Dezember 2007 (Quelle: http://www.schlaganfallcentrum.de/index.php?id=396, Abruf am 24.04.2014)
Gaby Niggenaber: Bei den meisten Patienten und Angehörigen löst die Diagnose Schlaganfall große Angst aus. In der Neurologie behandelt man dann die Symptome, kann aber nicht mehr heilen. Wie sieht es damit im Benjamin Franklin aus?
Dr. Fiebach: In Steglitz hat man – wahrscheinlich aufgrund der demographischen Lage – ein sehr hohes Akutaufkommen an älteren Schlaganfallpatienten, die aufgrund der Forschung und der Stroke Unit der Neurologie eine hervorragende Behandlung erhalten. Im Benjamin Franklin ist man außerordentlich spezialisiert auf die Behandlung des Schlaganfalls. Zudem kann ich durch die Nähe des MRT sehr viele Patienten für die Teilnahme an unseren Studien in der Neurologie begeistern, was manchmal bei längeren Wegen zur Studienuntersuchung schwieriger wäre.
Gaby Niggenaber: Das Universitätsklinikum betont ausdrücklich die starke interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Notfallambulanz und seinen Disziplinen. Gelingt das auch in der Neurologie, um so schnell die Frage zu klären: Schlaganfall, transitorisch ischämische Attacke, intrazerebrale Blutung?
Dr. Fiebach: Das diffusionsgewichtete MRT (DWI) hat eine hohe diagnostische Sicherheit bei Durchblutungsstörungen und in der Gefäßdiagnostik. Bei über 90% der Patienten gelingt ein positiver Nachweis des Hirninfarktes. Im CT sind es bei trainierten Klinik-Radiologen 40-60%. Nach vier Minuten im Schlaganfall-MRT kann bereits bei Indikation mit der Thrombolyse-Medikation begonnen werden, danach folgen weitere Sequenzen, die vom Radiologen befundet werden, während der Neurologe daraufhin seine Therapie ausrichtet. Sobald der Patient innerhalb der ersten viereinhalb Stunden ins Steglitzer Universitätsklinikum kommt, kann jeder vierte Patient eine zielgerichtete Thrombolyse erhalten. In Zeiten der modernen Telemedizin befunden mein Team und ich auch dann, wenn wir unterwegs sind. In Steglitz hat das Schlaganfall-MRT sieben Tage pro Woche Dienst, bei acht bis zehn Stunden Messzeit, am Wochenende viereinhalb Stunden.
Gaby Niggenaber: In vielen Kliniken wurden in den letzten Jahren Stroke Units eingerichtet, spezielle Schlaganfallstationen. Was hat sich dadurch für die Patienten verändert?“
Dr. Fiebach: Durch die Einrichtung und
Spezialisierung der Stroke Unit der Neurologie wurde eine massive Verbesserung
der klinischen Perspektive der Patienten erreicht: weniger Atemwegsinfektionen durch
Schluckstörungen, schnellere Mobilisation, frühzeitiges Angebot der benötigten
Logopädie, ein insgesamt verbessertes Outcome. Der Schlaganfall und seine
Folgen sind nicht nur schockierend für die Patienten und Angehörigen, sondern er
ist die teuerste Erkrankung im deutschen Gesundheitssystem. Aufgrund der
hervorragenden Diagnostik am ersten Tag des vermuteten Schlaganfalls am
Benjamin Franklin scheint sich die Liegezeit der Patienten verringert zu haben.
Eine Investition in ein MRT in der Nähe der Stroke Unit und die Bereithaltung
an 7 Tagen pro Woche würde für die Zukunft die Kosten der Krankenhäuser senken.
Forschungsschwerpunkt Wake-up-Symptomatik
Gaby Niggenaber: Soviel zum klinischen Alltag. Doch was erforscht das „Imaging Team“ um PD Dr. Fiebach, welche einzelnen Studien können einen Fortschritt in der Neurologie zur Schlaganfallbehandlung leisten?
Dr. Fiebach: Zum einen möchte ich die Kostensenkung durch das MRT errechnen und beweisen, dass der primäre Einsatz der MRT-Untersuchung bei einem Schlaganfall wirtschaftlich sein kann. Zum anderen betreuen mein Team und ich mit großem wissenschaftlichem Engagement mehrere Studien: Erwähnt sei die europaweite MRT-Studie bei Patienten mit „Wake-up-Symptomatik“, die zeitgleich in fünf Ländern bearbeitet wird und in Berlin an den Charité-Standorten verortet ist.
Gaby Niggenaber: Worum handelt es sich bei der „Wake-up-Symptomatik?“
Dr. Fiebach: Sehr häufig haben die Patienten in der Nacht einen Schlaganfall erlitten und wachen morgens mit den klassischen Symptomen auf, zum Beispiel mit Halbseitenlähmung, Seh- oder Schluckstörungen. Am Benjamin Franklin erfolgt sofort die Untersuchung im Schlaganfall-MRT. Die beiden Sequenzen Flair- und DWI ermöglichen dabei die wichtige Einschätzung, ob der Schlaganfall viereinhalb Stunden oder länger her ist. Ist diese Frage geklärt, wird der Patient gefragt, ob er an der randomisiert kontrollierten Studie teilnehmen möchte und erhält die Therapie – entweder mit Fibrinolyticum oder mit Placebo.
Gaby Niggenaber: Welche Ergebnisse erwarten Sie von dieser internationalen Studie?
Dr. Fiebach: Normalerweise erfolgt in dieser Situation auf der Stroke Unit für einen Patienten keine akute Behandlung mehr laut Leitlinien. Im CSB können wir mehr machen: Ist durch das MRT geklärt, dass der Patient innerhalb der ersten viereinhalb Stunden gekommen ist, erhält er eine Behandlung! Es wird sich nach Einschluss von 800 Patienten in den nächsten Jahren zeigen, wie sich so das Outcome der „Wake-up“-Schlaganfall-Patienten verbessern kann. Es darf nicht vergessen werden, dass hinter jedem Schlaganfall Schicksal und Zukunft von Patienten und deren Angehörigen stehen, die es zu verbessern gilt!
Dr. Fiebach berichtet noch von einer weiteren, kleineren Studie, die er gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut in Leipzig publiziert hat: In der Studie waren 14 Patienten eingeschlossen, die nach 12-16 Stunden mit einem Schlaganfallverdacht ins Benjamin Franklin kamen. Die Patienten erhielten ein „resting state fMRI“, das die Spontanveränderung der Gehirndurchblutung ohne den Einsatz von Kontrastmitteln möglich macht. Das Ergebnis war vielversprechend: Es war klar erkennbar, welches Gewebe im Gehirn minderdurchblutet war. Dieselben Patienten erhielten in der gleichen Untersuchung zur Kontrolle auch eine konventionelle Perfusionsmessung.
Dr. Fiebach: Wir konnten zeigen, dass die resting
state fMRI genauso aussagekräftig ist wie die Kontrastmittel-Messung. Der
durchschnittliche Steglitzer Schlaganfall-Patient ist 72 Jahre alt, so dass
aufgrund des Alters ein Kontrastmittel immer ein Risiko darstellt.
Dr. Fiebach hat mir viel Interessantes über Studien und Zukunftsaussichten erzählt, was mich als Medizinstudentin hoffen lässt, dass sich in den nächsten Jahren bei einer der großen Volkskrankheiten der Industrienationen große Fortschritte bewirken lassen und wir den Patienten mit Schlaganfall eine noch bessere Behandlung geben können.
Bild: Gaby Niggenaber, Medizinstudentin an der Charité Berlin, führte das Interview mit PD Dr. Fiebach.