Im Portrait: Prof. Dr. Bernd Hamm
von Anne-Katrin Hennig, 16.09.2014
Bernd Hamm mag Zitate. Ob ihn auch Theodor Fontane leitete – „Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner“ – als er seine Entscheidung nach dem Abitur traf? Das vielleicht nicht, aber was ganz klar ist: Sein Gang in die damals geteilte Stadt ließ ihn zu einem Vollblut-Radiologen werden. 2015 ist er Präsident des ECR, des größten europäischen Röntgenkongresses.
Unbedingt Berlin. Es sollte unbedingt diese geteilte Stadt sein. Der Drang, nach dem Schulabschluss so richtig durchzustarten, in eine Großstadt zu ziehen, hat Bernd Hamm gepackt. In Frankfurt/Main geboren und Königstein im Taunus aufgewachsen, will er nun raus aus dem wohlbehüteten Nest, hinein in das große Abenteuer West-Berlin der 70er.
Als Bernd Hamm 1972 in Berlin-Dahlem an der Freien Universität Medizin zu studieren beginnt, öffnen sich ihm ganz neue Welten. Es gibt noch keine Generation Y, die für Elternzeiten oder Sabbaticals kämpfte, sondern Studenten mit ganz anderen Ideen als heute. Es geht ums Ganze, ums System, um die Gesellschaft. Der angehende Arzt Bernd Hamm interessiert sich dafür, besucht und redet auf Vollversammlungen, lässt vielleicht auch mal aus Neugierde heraus die eine oder andere Vorlesung ausfallen – und schafft sein Studium sehr wohl in der vorgegebenen Regelstudienzeit.
Den Fokus nicht aus den Augen verlieren. Das ist das Ziel, das er sich schon in seiner Kindheit gesteckt hat: „Wahrscheinlich wollte ich als Siebenjähriger Polizist oder Straßenbahnfahrer werden, aber mir wurde schnell klar, dass ich den Beruf erlernen will, den mein Vater schon mit Begeisterung ausübte: Radiologe.“ Gab es denn gar keine anderen verlockenden Bereiche in der Medizin? Er bleibt dabei: „Ich habe mich auch für die Pathologie interessiert, und auch die Urologie und vor allem die Chirurgie hatten es mir für eine Weile angetan. Sowieso arbeite ich heute besonders gern mit Chirurgen zusammen – die sind so schön direkt. Aber die Radiologie – das ist das Faszinierendste.“ Langes Herumüberlegen liegt Bernd Hamm nicht. Er kennt sein Ziel von frühester Jugend an, und an der FU entscheidet er sich schließlich, sich zuerst auf die abdominelle, später auf die Uroradiologie zu konzentrieren. In der Uroradiologie promoviert er auch. „Radiologie ist schön – die extreme Breite bietet so viele Möglichkeiten“, schwärmt er.
Sein Weg scheint vorgezeichnet. Alles geebnet? „Nein. Man darf nicht verzagen und muss mutig genug sein, Entscheidungen zu treffen. So wie Charlie Chaplin sagte: ‚An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser‘. Ich wollte eigentlich immer in die Praxis.“ Doch es kam ganz anders. Den Weg findet er – und zwar nach seiner Habilitation in Berlin und seiner dreijährigen Tätigkeit als Leitender Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin im Klinikum Steglitz der Freien Universität: Niederlassung als Partner in einer großen radiologischen Praxis in Frankfurt am Main, parallel Bewerbung auf den Lehrstuhl für Radiologie der Universität Essen mit anschließendem überraschenden Ruf auf diese Professur. Parallel erfolgreiche Berufung auf den Lehrstuhl für Radiologie der berühmten Charité kurz nach dem Mauerfall. Im März 1993 nimmt er die Tätigkeit am Institut für Radiologie der Charité auf, erhält später noch einen Ruf auf die W3-Professur in Frankfurt am Main, bleibt jedoch an der Charité.
Es ist das neue, wiedervereinte Berlin. Ein Berlin, das sich noch im Aufbruch befindet. „Man soll nicht dorthin gehen, wo die Paläste schon stehen, sondern dorthin, wo sie gebaut werden. Das sagt ein indisches Sprichwort. Berlin hat mich weiterhin magisch angezogen, und heute besticht die Stadt noch mehr durch ihre Weltoffenheit und Internationalität – auch wenn man an den Noch-Flughäfen dieser Stadt das Gefühl hat, in der Provinz anzukommen“, sagt er augenzwinkernd. Bernd Hamm ist kein Träumer. Schon in seiner Kindheit weiß er wohin, nur natürlich kann er nicht ahnen, welche Wege ihn zu seinem Ziel und über welche Etappen sie führen würden. So viel Zuversicht in nur einer Person, das beeindruckt irgendwie.
Gibt es denn gar keine Stolpersteine oder große Herausforderungen für ihn? „Stolpersteine gibt es immer wieder, man sollte nur möglichst schnell wieder aufstehen, nachdem man gestrauchelt ist. Die ECR-Präsidentschaft im März 2015 in Wien – das ist schon eine richtig große Sache und eine spannende Herausforderung.“ Mit großer Begeisterung vertritt er das Motto des ECR 2015 ‚Radiology without borders‘: „Gerade in der jetzigen Zeit, die geprägt ist von Unruhen und zunehmenden Abgrenzungen, ist Kommunikation und Austausch so wichtig! Und nicht nur ein so internationaler Kongress wie der ECR, sondern unter anderem auch die Akademie für Fort- und Weiterbildung in der Radiologie trägt dazu bei, Verbindungen zu schaffen und Grenzen verschwimmen zu lassen.“
So viel Empathie, so viel Engagement. Bleibt denn da noch Zeit für Hobbies? „Wenig. Skifahren und Segeln, das sind meine Leidenschaften, und ich bin glücklich, wenn ich das mit meiner Familie machen kann. Und natürlich, soweit zeitlich möglich, das überaus große kulturelle Programm in Berlin nutzen.“ Die Söhne, beide Anfang 20, verschlägt es studientechnisch in den Maschinenbau und – die Medizin. Hat er den Anstoß gegeben? „Ich schreibe meinen Kindern natürlich nicht vor, was sie machen sollen.“ Und den jungen Radiologinnen und Radiologen in seiner Klinik? „Auch hier wünsche ich mir Freigeister. Ich frage sie oft beim Personalgespräch: Was wollen sie mit 40 erreicht haben? Wie wollen Sie dahin kommen? Und dann sollte sich ein Weg finden.“
Fotos © Bernd Hamm, privat