Mit einem Schwarzseher....auf dem Röko 2014
Ein nicht ganz ernstzunehmender Kongressbericht
von S. D. Sprengel
Tausche Kittel gegen Sakko,
Diktiergerät gegen Banane, Telefon gegen iPod und Dienst gegen Reise. Betrachte
mich in der tautrüben Scheibe der Abfahrtsanzeige. Das Koffer-Set schimmert
handelsreisendengrau im ersten Tageslicht, in untrennbarer Umarmung mit der
Posterrolle. Im Bahnsteigwind flattert der Trenchcoat und ich schnippe die
Asche meiner imaginären Zigarette elegant auf das Nichtraucherschild, begleitet
vom Infernal der blechernen Zugansage. Radiologie ist Schall und Rauch, denke
ich bei mir.
Es fährt ein Zug nach
Nirgendwo, ich nehme den nach Hamburg. Ganz maritim zwänge ich mich in die
Sardinenbüchse in Dunkelweiss und bahne mir den Weg bergan gen Zugspitze. Nur
missmutig folgt mein Koffer, der chronische Querulant. Akzidentiell donnere ich
einem Laien meine wissenschaftlichen Ergebnisse an den Kopf, in der Hoffnung, dass
etwas Erkenntnis blitzartig überspringt, doch ich ernte nur Groll. Ich flüchte,
bevor weitere Mitreisende sich mitreißen lassen. Nachdem ich als
professioneller Empathiker und Radiologe die Alten, Kranken und Kinder habe
Platz nehmen lassen, ist alles belegt und meine Herrlichkeit setzt sich
standesgemäß in der zweiten Klasse auf den Boden der Tatsachen.
Ich mache in meinem Kongressheft kleine Bleistiftkreuze an die Veranstaltungen, die ich nicht besuchen werde und genieße als Misanthrop die Folgen einer spontanen Änderung des Wagenstands, welche mal wieder die berühmte „German Bahnangst“ auslöst. Nicht jeder bleibt dabei auf der Spur. Manche lassen pfeifend Dampf ab und entgleisen. Und zum polternden Systolikum der Schwellen tanzen die Achselfleckenzwerge Tango.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Das ist gelogen. Die Zeit vergeht wie im Zug. Aber irgendwann empfängt mich Hamburg dann doch mit kalter Hand und leicht salzigem Atem. Etwas von der Rolle renne ich mit der selbigen in das Kongresszentrum, um meine Thesen an die Tür zu nageln. Dank der helfenden Hand der Berliner Hostess gelingt dies trotz großer Stürmigkeit knick- und wellenfrei; dafür entlohne ich sie mit Weisheiten über das Hamburger Wetter. Jaja, immer ein Wechsel aus warm und kalt. Sie haben nur einen kurzen Rock und einen Blazer mitgenommen? Ach ja, wie ungeschickt.
Erhitzt von der unerhörten sozialen Exposition flüchte ich in mein Hotel, das zwar weniger Sterne als die Milchstraße besitzt, aber dies bei der Preispolitik nicht berücksichtigt hat. Dafür bekomme ich immerhin Parkett auch auf dem Klo und Stuck an den Decken. Meine Bleibe liegt an der Binnenalster, aus der ich, zumindest dem Namen nach, schon viel Wasser genossen habe. Leider ist die Flüssigkeitskollektion dermaßen ungelegen zwischen Hotel und Kongresszentrum lokalisiert, dass ich den Umweg zu meinem Weg machen muss (da ich nicht über das Wasser gehen oder schweben kann, wie man das eigentlich von Heidelberger Medizinern erwarten könnte). Ich versuche mich frisch zu machen, was jedoch nicht gelingen will - das ist wohl Frauen vorbehalten - und berge Hemden und Sakkos aus den Tiefen meines Koffers. Von Knittern befreit sind Hemd und Kragen, war die Hoffnung. So kann man sich täuschen. Daher erkläre ich meine Abendgarderobe zur urbanen Knautschzone und stürze ins Tiefblau der Hamburger Frühsommernacht.
Mein Ziel: das „Get-Together“. Das Programmheft lockt damit, dass man sich „von Pantomimen, Jongleuren und Zauberern überraschen“ lassen kann. Wie in der Klinik, fehlen nur noch die Clowns, sagt mein zynisches Ich. Ich trete in die 70er Jahre Lobby des Kongresszentrums und der entsprechende Teppichboden beginnt ein fearandloathingeskes Eigenleben. In meinen Ohren klingelt die Unterzuckerung und singt: „Want some whiskey in your water, sugar in your tea, this is the craziest party there could ever be, don't turn on the lights, 'cause I don't want to see“.
Ich sage dem Buffet und dem Zapfhahn mehrfach „Hallo“ und komme dann meinem Job als Outlaw und Undercoverjournalist nach, ordentlich zu zwitschern. 140 Zeichen zur Glückseligkeit. Tafelspitz statt Hack. Jazz statt Kliniklärm. I love #röko2014.
Zwischen all den Schattengestalten suche ich „Freunde und Kollegen“, die mir im Programmheft versprochen wurden, die sind aber bei eingeschränkter Beurteilbarkeit und ausgeprägter Überlagerung nur schwer abzugrenzen. Zum Schluss schaue ich dann doch nicht in die Röhre und lande zwischen Physikern und charmanten Teilen der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Bildgebung. Recist rocks. Walk the Leitlinie. Feiern bis die Lichter an bzw. ausgehen.
Der nächste Tag beginnt für manche mit einer Ehrenmitgliedschaft in der Röntgengesellschaft. Und für andere mit einem hyperdensen Kopf, welcher jedoch im finsteren Hörsaal, dem natürlichen Radiologenhabitat, schnell an Dichte verliert. Selbst die Theorien der Quantenphysik zu Grunde legend, muss ich mit Bedauern feststellen, dass es mir annähernd unmöglich ist, in zwanzig Vorträgen gleichzeitig anwesend zu sein. Der Röko ist nach wie vor analog und ich auch. Mein Körper verbleibt also an einem Ort. Und da geht es um Muskeln und Gebein und all das, was den Mensch im Innersten zusammenhält. Dazu dozieren Eminenzen, die über mehr außergewöhnliche Fälle verfügen als die finnische Sprache. Ich lasse mich beeindrucken und fülle meinen kleinen Block mit notwendigen Notizen und Skizzen.
Der
Kongresstag endet mit einem kleinen Bummel über die Industriemesse. Ausgestellt
wird zwischen Stehtischen Ästhetisches aller Art. „Radiologie ist Brot und
Spiele“ ist das Motto. Kurzer Rock und lange Beine, Finger food und gute Weine,
heute wird mal zugelangt, bei auch dem kleinsten Messestand. Und so zieht man
aus dem Tagungszentrum und summt gut gelaunt: „Voll bepackt mit tollen Sachen,
die das Leben schöner machen - hinein ins Weekend-feeling.“
Am Abend kommt man seiner ärztlichen Pflicht nach und lässt sich von der Industrie an einem wunderschönen, adäquat-exklusiven Ort fortbilden und trinkt kapitalismuskritisch ein Glas Champagner mit Blick auf den Hafen, die Elbphilharmonie oder ähnlich Großartiges. Man stillt seinen Wissenshunger mit Lachshäppchen, übt sich in der großen Geste und im ebenso großen Small Talk. Da man jedoch offensichtlich nicht in der Versicherungsbranche tätig ist, endet der Abend dann nur mit “Syngo” und ohne Samba vor der Geisterstunde singulär im Doppelbett.
Von dort führt
dann am nächsten Morgen der Weg zurück in die hohen Hallen des Kongresskönigs.
Dort werden alle zusammengetrommelt und man bezieht vor den Posterwänden
Aufstellung. Als ehemaliger Zivildienstleistender, offensichtlich ohne eisernes
Kreuz, sehe ich mich zwar eigentlich außerstande eine Stunde lang Haltung zu
bewahren, während das Posterkomitee mit kritischem Blick umherschreitet, aber
with the help from my Sektionsleiter wird das Ausharren schlussendlich mit
einer Preisschleife mit schöner Rosette belohnt.
Gut gelaunt nehme ich den restlichen Kongresstag in Angriff. Ich lerne viel, meine ich mich zu erinnern. Am Ende versammeln sich dann die ordentlichen Mitglieder der DRG im Hörsaal, und die Unordentlichen auf der Reeperbahn. Als Semiunordentlicher komme ich auch zum Feiern zu spät und erst lange nach Anbruch der Dunkelheit gelingt es mir, schwer schnaufend, den Hamburger Berg zu erklimmen. Und wenn man erst einmal dort oben ist und seine Fahne auf dem Gipfel wehen lässt, will man so schnell nicht wieder herunter, stelle ich fest. Per aspera ad astra (im wahrsten Sinne des Wortes).
Am neu angebrochenen Tag schaffe ich gerade noch rechtzeitig den steilen Abstieg um auszuchecken und hamstere die letzten Fortbildungspunkte. Zum Abschied gibt es noch süße Teilchen im Fourier-Raum und dann fährt auch schon der Zug gen Heimat. Ich wünsche twitternd allen eine Handbreit Kontrastmittel unterm Kiel und viel Erfolg auf der jeweiligen Galeere. Im IC 2229 hat dann die Deutsche Bahn netterweise noch eine abschließende Fortbildung zum Thema "Signalstörung" vorbereitet, die aber auf ein geteiltes Echo stößt. So halte ich noch einmal inne, schaue ins mitteldeutsche Nichts und freue mich schon auf nächstes Jahr, wenn das Röko-Motto lautet: „Radiologie ist Hyperkyphose und Agnosie“.