Kongressbericht von Simon David Sprengel (Ladenburg) - GEWINNERBEITRAG
Wie war's in Hamburg? Unseren Hellste-Köpfe-Schreibwettbewerb gewinnt der Stipendiat Simon David Sprengel mit seinem humorvollen, interessanten und kurzweiligen Kongressbericht. Herzlichen Glückwunsch!
Röntgen-Kongress Reisebericht – Radiologie ist Vielfalt.
von Simon David Sprengel
Es ist Mittwoch, der
erste Tag im Juni. Ich stehe am malerischen Mannheimer Hauptbahnhof mit anderen
Fernreisenden im Regen. Die warme Sommerdusche wäscht mir den Staub von der
Haut, der sich da in der wüsten Uniklinik festgesetzt hat.
Mit der Stoik eines
Altstudenten erkämpfe ich mir einen Platz im Wagon und schaffe dabei das
Kunststück sowohl der sektverkostenden Seniorengruppe, als auch dem Abteil mit
den jungen Familien zu entgehen, welches meine Sinne kurzzeitig mit dem Duft
von vollen Windeln und verschüttetem Apfelsaft betört.
Neben zwei rüstigen Schweizerinnen lasse ich mich nieder. Der sonore Klang des Siemens-Triebwerke, der entfernt an das Brummen der Verios erinnert, und der Singsang der Alpenbewohnerinnen übertönt den Nachhall des Diensttelefonklingelns, welcher sich in meinen Ohren eingenistet hat. Während draußen schnödes hessisches Hinterland vorbeirauscht, freue ich mich über meine Relaxation in so kurzer Zeit. Die kurzen Nächte der letzten Tage fordern ihren Tribut. Licht aus. Spot an.....
"MEIN LIEBER, was wollen Sie denn später machen?" die strengen Augen des Chirurgie-Chefarztes schauen mich erwartungsvoll über den Rand seiner blauen OP-Brille an. "Radiogie!" sage ich begeistert. "Uuuuuuuh!" tönt es aus den Weiten des grünen OP-Dschungels und hinter den Kabel-Lianen versteckt sich der ängstliche Anästhesist. "Dann verdienen Sie wenigstens ein Mal RICHTIG Geld" sagt der Chef und lässt diesmal das "MEIN LIEBER" bewusst weg. Ich schmunzle und hoffe inständig, dass man es unter der OP-Maske nicht sehen kann "Mein Lieber," denke ich laut "mit Verlaub, der einzige der in dieser grünen Hölle RICHTIG Geld verdient sind Sie, und wenn es mir um das Monetäre ginge, stünde ich nicht hier und würde ihnen den ganzen Tag für einen Stundenlohn von zwei Kokosnüssen das Unterholz aus dem Blickfeld halten, damit Sie besser ihr Messer schwingen können". Da hebt der Chirurg seine Machete und…
Bong! Der Klang des Kinderkopfes, welcher gegen den Raumtrenner meines Abteils schlägt, weckt mich unsanft. Das neurologisch unauffällige Kind wird von der Mutter einer ambulanten Versorgung mit Schokolade zugeführt und ich lehne mich wieder zurück... Was mich wohl in den nächsten Tagen erwartet, unter all den Ärzten, die ein solches Schattendasein führen?
Hamburg empfängt mich mit offenen Armen und nordisch blauem Himmel. Wahrscheinlich warten auch irgendwo schon ein paar E.Colis darauf meine Verdauung anzukurbeln, zumindest wenn ich der hysterischen Presse Vertrauen schenke. Als in fünf Jahren Medizinstudium hervorragend ausgebildeter Hypochonder, hoffe ich inständig, dass das Motto des 92. Röntgenkongresses sich nicht von "Radiologie ist Vielfalt" gar in "Radiologie ist Durchfall" wandelt. Also kein Salat, keine Gurken, keine Tomaten und kein Kontakt mit den Einheimischen (von den „fatalen“ Bio-Sprossen wusste zu der Zeit noch niemand - Anm.d.Verf.).
Im Hostel beziehe ich ein Zimmer mit sieben weiteren hellen Köpfinnen und Köpfen und die obere Etage eines Stockesbettes, welches in einer finsteren Nische des Zimmers eingeklemmt ist - wenn das mal keine Vorbereitung auf die kommende Jahre ist... Ich eile also wieder nach draußen an die frische Luft, die irgendwie schon etwas nach Meer schmeckt und besteige die S-Bahn in Richtung Dammtor, um mir am Kongresszentrum mein „Starter“-Paket abzuholen. Direkt neben dem Bahnhof und dem Radisson-Hotel, welches wie ein riesiges Ausrufezeichen in den Himmel ragt, finden sich dann auch die einladenden Messehallen. Nach gekonntem Wedeln mit meiner Identifikationskarte, stehe ich vollbepackt mit Broschüren, Plänen und Tüten in der Studentenlounge. Links und rechts gesäumt von Zierbüschen und Sträuchern bietet diese Oase mit WLAN, Snacks und einem Kaffeeautomat so ziemlich alles, was man als moderner Student zum Survival in der Kongresswildnis braucht. Da scheint es nicht verwunderlich, dass sich auch der ein oder andere erwachsene Kongressbesucher an der kostenfreien Verkostung laben will, auch wenn dafür großer Körpereinsatz, sprich ausgiebiger Kontakt mit der artifiziellen Schutzbepflanzung nötig ist, um ungesehen zugreifen zu können.
Nach längerem Ringen um die besten Plätze vor dem Hotel-Spiegel, schiebt sich am Abend dann die optisch und olfaktorisch ansprechende Gruppe heller Köpfe gen Fischauktionshalle, dem Austragungsort der Kongresseinführungsveranstaltung. In wunderbarer hanseatischer Atmosphäre lauscht man entweder den Rednern (was aufgrund der schlechten Signal to Noise Ratio nicht gerade einfach ist) oder pflegt den medizinischen Smalltalk. Während die letzten Worte des Abschlusslaudatoren verhallen, stürzen die Hungrigen schon an das Buffet, und in meinem Kopf und hoch über den Wolken singt dazu Reinhard Mey "Bei der heißen Schlacht am kalten Buffet, da zählt der Mann noch als Mann, und Aug' in Auge, Aspik und Gelee, hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra!"
Wirklich kämpfen muss ich allerdings erst am nächsten Morgen, nach kurzer feucht-warmer Nacht. Mit hyperdensem Kopf, aber hypodenser Seele freue ich mich auf meinen ersten Kongresstag: ich lausche voll konzentriert meinem Doktorvater und besuche dann Vorträge mit interventionellem Hintergrund - da wird gecoilt und abladiert, dass es (zumindest für Radiologen) eine wahre Freude ist.
Zwischen den Veranstaltungen lockt die Industrie mit fulminanten Messeständen und Gewinnspielen: bei Thieme gilt es bei "mediclick", dem lustigen und brutal anspruchsvollen Bilderrätsel, als erster auf den Buzzer zu hauen. An einem Stand eines Kontrastmittelherstellers beschäftige ich mich sage und schreibe 20 Minuten mit der Proteinbindung und den (natürlich kaum vorhandenen) Kontraindikationen des angepriesenen Super-Produktes, nur um ein Johann Lafer Kochbuch gewinnen zu können - es irrt der Mensch, so lang’ er strebt, denke ich und setze meine Messesafari fort. Andere Jäger haben mehr Erfolg: während ich bis jetzt lediglich eine Art Kofferschloss, dessen Funktion mir nach wie vor nicht ganz klar ist, erbeute, zieht ein Großteil der Messebesucher mit (Stoff-) Giraffen von dannen.
Ich tröste mich damit, dass ich als vorwiegend nachtaktives Raubtier im Dunkeln wesentlich besser aufgehoben bin und flüchte in den angenehm düsteren Vorlesungsaal zurück, um dort die guten Ideen einzufangen.
Am Abend geht es zum interstudentischen Socializing in das Elbwerk, von dessen Terrasse man einen wunderbaren Blick über die industriell entstellte Elbe genießen kann. Das Elbwerk liegt nicht weit entfernt von Reeperbahn und Herbertstraße, einer weltbekannten Region of Interest, vor allem für das männliche Geschlecht. Während der Himmel sich tiefrot färbt, verlangt es die Durstigen nach dem (namentlich) dazu passenden Astra-Pils. Bei Currywurst im Marmeladenglas klingt der Tag stilvoll und in netter Atmosphäre aus. Als der Morgen schon wieder graut, eile ich per pedes zurück in die warme Hostel-Höhle, und mache dabei die, so finde ich zumindest in diesem Moment, erstaunliche Entdeckung, dass ein Großteil Hamburgs für eine Großstadt geradezu hervorragend riecht (Meersalz, Wald, mit leichter Teernote), während die Reeperbahn mich geruchlich an den alten Staubsaugerbeutel aus meiner WG erinnert.
Am Freitag komme ich dann vor lauter Staunen über die tollen Vortragenden gar nicht recht zum Gähnen. Als Doktorand mit muskuloskelettalem Einschlag erfreue ich mich an den Ausführungen von Prof. Freyschmidt, dessen Knochentumorbuch mir schon viele Stunden kurzweilige Unterhaltung beschert hat (soweit einem ein Tumorbuch überhaupt so etwas wie „Freude“ bereiten kann), und lerne von Prof. Bohndorf, dass es Bänder gibt (Lig. politeum - mit allem, was da noch dranhängt), die zwar kaum jemand kennt, die man aber trotzdem beschreiben kann, wenn man sie mal findet. Frau Prof. Osborn, die mit ihrem Vortrag über black spots und white dots, oder white spots und black dots (das weiss ich nicht mehr so genau, und sie zwischenzeitlich auch nicht) für einen vollen Hörsaal sorgt, ist nicht minder beeindruckend.
Am Nachmittag messe ich mich dann per TED mit anderen Examens- und Facharztanwärtern beim “Fröhlichen Facharzt Familienduell” (FFF- stand auf dem Veranstaltung-Plan - stand wohl für “Fit für den Facharzt“), frei nach dem Motto: 100 Radiologen haben wir gefragt: Was sehen sie auf dem Röntgenbild... und die sehen da ziemlich unterschiedliche Dinge.
Der Samstag wartet dann unter anderem mit einem speziell auf Studenten ausgerichteten Programm auf - die verbliebenen Neugierigen erfahren alles zur Zukunftsfähigkeit / Kinderverträglichkeit und den Verdienstmöglichkeiten in der Radiologie. Dank dem Vortragenden Herrn Dr. Montgomery, Radiologe und Ärztekammerpräsident, weiß ich jetzt, dass die glücklichsten Radiologen ein Jahresgehalt von 200.000 - 500.000 Euro haben, die Unglücklichsten und Unzufriedensten jedoch mehr als 500.000 Euro verdienen. Welch schöner Appell an die Bescheidenheit!
Ich beschließe in diesem Moment, dass ich auch mit bedeutend weniger zufrieden bin und eile auf das Dach des Kongresszentrums in die Sommersonne. Von dort lasse ich mein Blick über das grüne Hamburg schweifen. Dankbar für die das großzügige DRG-Stipendium und die inspirierende Woche mit den über 7.000 Schwarzsehern, hebe ich mein Weißwein-Glas (dessen Inhalt den Österreichern zu verdanken ist, die dieses Jahr auch beim Kongress dabei waren) und seufze: „Hier bin ich Radiologe, hier darf ich sein!“.
Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle für die Unterstützung durch die DRG und Prof. Kauczor und Prof. Weber an der Universität Heidelberg.