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September 2013: Atrophie des Thalamus als Prädiktor für die Entwicklung von Multipler Sklerose
eine Rezension von Dr. Diane Renz (Charité Berlin)

Titel: Thalamic atrophy is associated with development of clinically definite multiple sclerosis

Autoren: Robert Zivadinov, Eva Havrdová, Niels Bergsland, Michaela Tyblova, Jesper Hagemeier, Zdenek Seidl, Michael G. Dwyer, Manuela Vaneckova, Jan Krasensky, Ellen Carl, Tomas Kalincik, Dana Horáková

In: Radiology, September 2013, Band 268, Seiten 831-841

"eine hervorragend strukturierte, prospektive Studie über Risikofaktoren in der MRT beim Übergang eines Klinisch Isolierten Syndroms in eine manifeste Multiple Sklerose"


Kurzbeschreibung


Multiple Sklerose wurde ursprünglich als eine chronisch-entzündliche Nervenerkrankung angesehen, die nahezu ausschließlich die weiße Substanz von Gehirn und Rückenmark befällt. Die Autoren aus Buffalo (U.S.A.), Prag (Tschechien) und Melbourne (Australien) untersuchten in einem prospektiven Studiendesign 216 Patienten mit einem so genannten „Klinisch Isolierten Syndrom“ – eine mögliche Vorstufe der Multiplen Sklerose. Innerhalb von zwei Jahren entwickelten 92 der 216 Patienten (42,6%) eine klinisch manifeste Multiple Sklerose; dabei wiesen die Autoren einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Krankheitsmanifestation und der Volumenabnahme des Thalamus und der Zunahme der Seitenventrikelweite in regelmäßig durchgeführten Magnetresonanztomografie(MRT)-Aufnahmen auf.

Hintergrund

Multiple Sklerose ist die häufigste chronisch-entzündliche Nervenerkrankung in Mitteleuropa und den U.S.A. Die Ätiologie ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt; angenommen wird eine multifaktorielle Genese aus möglicher genetischer Prädisposition, viraler Infektion und etwaigen Umwelteinflüssen.

Ursprünglich wurde angenommen, dass die Multiple Sklerose nahezu ausschließlich die weiße Substanz von Gehirn und Rückenmark befällt. Typische Charakteristika in der MRT-Bildgebung des Kopfes sind in der weißen Hirnsubstanz lokalisierte, betont periventrikulär gelegene entzündliche Plaques, die sich in der T2-Wichtung und der Fluid Attenuated Inversion Recovery (FLAIR)-Sequenz hyperintens darstellen und teils Kontrastmittel aufnehmen.

In den letzten Jahren rückt zunehmend in den Forschungsvordergrund, dass ein Befall der grauen Hirnsubstanz zu der Krankheitsprogredienz entscheidend beitragen kann. Das „Klinisch Isolierte Syndrom“ befällt ausschließlich eine Region im Gehirn oder Rückenmark, die dann zu speziellen neurologischen Beeinträchtigungen führt, beispielsweise durch eine Entzündung lediglich des Sehnervs. Etwa die Hälfte der Patienten mit einem „Klinisch Isolierten Syndrom“ entwickelt im weiteren Verlauf eine manifeste Multiple Sklerose, die typischerweise durch den Befall mehrerer Gehirn- und/oder Rückenmarksregionen gekennzeichnet ist.

Inhalt

In die prospektive Studie wurden 216 erwachsene Patienten (144 Frauen, 72 Männer) mit einem „Klinisch Isolierten Syndrom“ (erster Krankheitsschub mit Befall einer Hirnregion) eingeschlossen. Alle Patienten erhielten initial eine intramuskuläre Interferon-beta-Therapie. Das Studiendesign beinhaltete eine klinische Untersuchung alle drei Monate sowie insgesamt vier MRT-Untersuchungen: zu Studienbeginn (Baseline-Untersuchung) und anschließend nach 6 Monaten, einem Jahr und zwei Jahren. Das standardisierte MRT-Protokoll umfasste eine FLAIR-Sequenz und T1-gewichtete Sequenzen vor und nach intravenöser Kontrastmittelgabe. Mittels computer-unterstützter Techniken wurden bei allen MRT-Untersuchungen multiple Parameter erhoben: Anzahl und Volumen von Plaques in der FLAIR- und T1-Sequenz nach Kontrastmittelgabe, Volumen des gesamten Gehirns, der grauen und weißen Hirnsubstanz, der Hirnrinde, der Seitenventrikel und des Hippocampus (der zentralen Schaltstelle des limbischen Systems), zudem das Volumen mehrerer, aus grauer Substanz bestehender Kerngebiete, wie des Thalamus oder der Basalganglien.

Innerhalb des Untersuchungszeitraumes von zwei Jahren entwickelten 92 der 216 Patienten (42,2%) eine manifeste Multiple Sklerose (definiert als zweiter Krankheitsschub). In einer detaillierten statistischen Analyse zeigten diese 92 Patienten verglichen mit den 124 Patienten ohne klinisch manifeste Multiple Sklerose folgende signifikante Unterschiede in der Magnetresonanztomografie zwei Jahre nach Studienbeginn versus der Baseline-Untersuchung: größere Anzahl Kontrastmittel-aufnehmender Plaques, stärkere Volumenzunahme der Seitenventrikel (als Hinweis für eine zentrale Hirnatrophie), stärkere Volumenabnahme des Thalamus (gehört zu der subkortikalen grauen Hirnsubstanz), des Hippocampus, der Hirnrinde und des gesamten Gehirns. In einer multivariaten Regressionsanalyse wiesen ausschließlich die Volumenzunahme der Seitenventrikel und die Volumenabnahme des Thalamus signifikante Zusammenhänge mit der Manifestation einer Multiplen Sklerose auf.

Konzeption und Benefit

Besonders positiv an der prospektiven Studie sind das standardisierte Studiendesign, die zahlreichen erhobenen Parameter in den MRT-Untersuchungen sowie die detaillierte und fundierte statistische Auswertung.

Ein Nachteil in der Präsentation des Artikels ist, dass ein wesentlicher Teil der Methodik, d.h. die Erhebung und Auswertung der MRT-Parameter, lediglich in einer Appendix steht, was die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Artikels erschwert. Das standardisierte MRT-Protokoll umfasste T1- und FLAIR-Sequenzen; T2-gewichtete Spin-Echo-Sequenzen wurden nicht berücksichtigt. Eine weitere Limitation ist, dass alle Patienten initial eine einheitliche Interferon-beta-Therapie erhielten, die jedoch bei einem Teil der Patienten im Laufe des Untersuchungszeitraumes von zwei Jahren geändert wurde; diese Änderungen wurde jedoch in den Regressionsanalysen berücksichtigt.

Die Atrophie des Thalamus als signifikanter Prädiktor für die Manifestation einer Multiplen Sklerose unterstreicht die Wichtigkeit der grauen Substanz für die Krankheitsentwicklung und ihren Verlauf. Neben der Beurteilung der entzündlichen Plaques sollte eine detaillierte Evaluation der grauen Hirnsubstanz – inklusive des Thalamus – sowie computerunterstützte Volumetrien, unter anderem zur Bewertung einer zentralen Hirnatrophie, in der MRT-Bildgebung erfolgen, um den möglichen Übergang von einem „Klinisch Isolierten Syndrom“ zu einer manifesten Multiplen Sklerose frühzeitig zu detektieren.

Fazit

Die Forschungsarbeit „Thalamic atrophy is associated with development of clinically definite multiple sclerosis“ – publiziert in der äußerst renommierten Zeitschrift „Radiology“ – unterstreicht die Wichtigkeit der grauen Hirnsubstanz in der Krankheitsmanifestation der Multiplen Sklerose. Computerunterstützte Volumetrien, vor allem des Thalamus und der Seitenventrikel, sind geeignet, um einen Krankheitsbeginn frühzeitig diagnostizieren und damit rechtzeitig eine effektive Therapie einleiten zu können.

 

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